Bedrohungslagen, gleich welcher Motivation und welcher Ursache, stellen Sicherheitsorgane und die Öffentlichkeit jedes Mal vor eine Herausforderung. Am vergangenen Freitag zeigte sich wieder einmal, dass zügige und umsichtige Kommunikation von Behörden und Sicherheitsorganen ein fester Bestandteil bei derartigen, zu Beginn vor allem dynamischen und unklaren Lagen sein muss: Ein 18 Jahre alter Mann tötete am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) und am benachbarten McDonald’s neun Menschen und am Ende sich selbst. Zu Beginn war nicht klar, ob es sich um mehr als einen Täter handeln könnte und ob auch im Stadtgebiet München weitere Verletzte zu beklagen sein würden. Die Polizei München reagierte umgehend wie auch besonnen und kommunizierte in der ersten Phase vornehmlich und mehrsprachig über die Sozialen Netzwerke, wie Facebook und Twitter.
Wie diese Kommunikation wirkte, welche Reaktionen in der Bevölkerung und anderen Beteiligten deutlich wurden und warum die Sozialen Netzwerke Fluch und Segen für Sicherheitsbehörden sein können:
Unklare Bedrohungslagen verursachen Angst.
In der deutschen Bevölkerung ist in den letzten Jahren, vor allem aber nach den Attentaten von Paris und Brüssel, die Angst vor Terror gestiegen. Auch primär unübersichtliche Lagen wie am vergangenen Freitag im Münchener Olympia-Einkaufzentrum verdeutlichen, wie schnell Menschen in Panik und Angst verfallen. Verständlich, wenn durch eine sehr intensive und bildliche Medienberichterstattung von terroristischen Ereignissen in Paris über Brüssel quasi „direkt vor der eigenen Haustür immer näher kommen“.
Zu Beginn einer Bedrohungslage ist nicht immer klar, ob es sich um Amok oder Terror handelt. Es ist daher (auch) Aufgabe der Medien, möglichst klar zu differenzieren und gerade in der sehr informations- und faktenarmen Anfangsphase auch deutlich das Defizit und den Mangel an Fakten und Informationen zu verdeutlichen. Zuschauer und Leser wollen eher seriös und fundiert, als vorschnell und faktenarm informiert werden. Spekulationen verunsichern die Bevölkerung und laden zu einer Steigerung der Angst ein.
[Tweet „#SocialMedia bei unklaren Akutlagen für #Polizei und Bürger: Segen und Fluch“]
Die Sozialen Netzwerke – Fluch und Segen zugleich.

Medien und Öffentlichkeit sind sensibilisiert: Eilmeldungen zwei Tage nach der Amoktat in München / Screenshot. B.Wuttig
In den letzten Jahren nahm die Verbreitung von Eilmeldungen über die Sozialen Netzwerke zu, voran Facebook und Twitter. Schnell wird das Hashtag #Eil oder das tickerähnliche „+++EIL+++“ verwendet. So wird, fast schon reflexartig, den (zu Beginn) spärlichen Informationen immer auch ein hohes Gewicht beigemessen.
Um erste Informationen und Nachrichten schnell an viele Menschen zu verbreiten, sind die Sozialen Netzwerke sinnvoll, um dann auf den Websites von Zeitungen und Nachrichtensendungen über die Hintergründe recherchiert und fundiert berichten zu können. Dennoch sind Medien und auch die Öffentlichkeit nach einem erschreckenden Ereignis immer wieder sensibilisiert. Das zeigen schnelle Meldungen über ähnliche Ereignisse. Zwei Tage nach der Tat in München brachten Nachrichtenredaktionen Eilmeldungen über eine Tat mit einer Machete. Dieses gegenseitige Spiel an Erwartung der Öffentlichkeit, über ähnliche Taten informiert zu werden und dem Druck der Medien diese Informationen möglichst schnell zu liefern, erscheint wie eine Spirale.
Videodirektübertragungen und Livestreams sind mithilfe von Diensten wie Periscope, Merkaat oder den Streams von Facebook und Instragram heute mehrund mehr in Benutzung. Vorteilhaft sicherlich bei wenig sicherheitsrelevanten Ereignissen, wie einem Konzert oder von einem Parteitag. Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr ist ein Vorreiter und begeisterter Nutzer des Broadcastings. Zufällig war er bei dem Anschlag in Nizza Mitte Juli vor Ort und konnte Aufnahmen von dem Schadensort machen und über Periscope wurde er live in die Tagesthemen geschaltet. Ganz kritiklos wurde dieses Video nicht hingenommen, er sollte sich lieber um die Verletzten kümmern und helfen, statt zu filmen. Gutjahr ist Journalist und weiß um die Macht der Bilder mit all seinen Konsequenzen. Laut ARD vertraute man auf die Echtheit der Bilder des ARD-Journalisten. Nicht-Journalisten, die ungefiltert und redaktionell nicht geprüfte Bilder und Videos in den Sozailen Netzwerken verbreiten sind sich meist der Tragweite ihres Tuns nicht bewusst. Und eben hier besteht die Gefahr, wenn unkommentierte und nicht eingeordnete Bilder über die Sozialen Netzwerke verbreitet werden.
Die Protagonisten
Bürger und Öffentlichkeit
Zum einen spielt die Bevölkerung eine wesentliche Rolle, denn die Menschen auf der Straße sind entweder direkt von der Lage betroffen oder in den Randbereichen eines Einsatzgebietes. Hinzu kommen Schaulustige und Sensationsgierige, die bekanntermaßen in „Alltags“-Einsätzen von Rettungsdienst und Feuerwehr immer wieder störend auftreten.
Die Bürger haben zum einen das Interesse, Informationen abzusetzen, Freunde und Bekannte zu informieren oder Hinweise an die Sicherheitsbehörden zu geben. Diese Kommunikation kann entweder analog oder digital über Soziale Netzwerke stattfinden. Gerade in der ersten, so genannten Chaosphase eines übrigens jeden Einsatzes, stellen Meldungen von Augenzeugen immer nur ein Puzzelstück dar, welches weder in der Gesamtheit bewertet noch eingeordnet ist. Diese kleinen Bruchstücke macht die Polizei im Verlauf der Ermittlungen zunutze und konstruieren hieraus dann unter anderem Verlauf und Motiv.
Die Medien
Sobald ein Ereignis mit überregionalem Interesse eingetreten ist, entsenden die Redaktionen Fotografen, Reporter und TV-Teams. Über die Sender gehen dann die allseits bekannten Bilder eines Reporters vor Ort, der eine Situation zusammenfasst, von Augenzeugenberichten spricht und auf Informationen der Pressestellen und aus den Sozialen Netzwerken angewiesen ist. Eigentlich fehlen harte und belastbare Fakten. Sinnvoll kann es sein, Eindrücke zu schildern ohne jedoch durch ständiges Wiederholen von bereits erwähnten Eindrücken in Aufgeregtheit zu verfallen. In den Sendern entsteht eigentlich fast immer der Eindruck eines „News-Marathon ohne sicheres Wissen„, wie es der Tagesspiegel beschreibt. Die Redaktionen stehen unter dem Druck, möglichst schnell Informationen zu liefern, die seriös, fundiert, belastbar und recherchiert sind. Eine Schleife von Mutmaßungen und wenigen fundierten Informationen, gepaart mit Tweets und Videos aus „der Netzwelt“.
Die Medien per se befinden sich also in einem Dilemma: Nachrichtenredaktionen sammeln dann Informationen, bewerten die Quellen, ordnen ein und versuchen einen Überblick zu verschaffen, der möglichst nah an Tatsachen und fernab von Spekulationen ist, beschreibt Michael Draeger den Tag in der NDR-Nachrichtenredaktion für die Radioprogramme. Claus Kleber, Anchorman des heute-Journals beim ZDF, betrachtet das in der Süddeutschen Zeitung noch am Abend der Ereignisse von München kritisch. Das Branchenmagazin MEEDIA spricht sogar von medialen „Chaosstunden beim Amoklauf: journalistischer Aktionismus statt Nachrichtenfernsehen“
Aufgabe der Medien ist es eben einzuordnen – auch in Gesamtzusammenhängen. Die Tagesschau versucht (zu verschiedenen Themen) unter dem Hashatg #kurzerklärt, mit Statistiken des Alltages die Angst vor Terror zu reduzieren wie auch Terror und Amok näher zu erklären:
Aus aktuellem Anlass: #kurzerklärt „Was ist Terror, was ist Amok?“ #Münchenhttps://t.co/SEVrWc01O9
— tagesschau (@tagesschau) 23. Juli 2016
„Hochfahren“ der Strukturen bei einer Bedrohungslage
Einsatzführend war in der ersten Phase die Polizei München. Bei derartigen Meldungen werden trainierte und bewährte Pläne aktiviert. Spezialkräfte wie SEK, MEK und andere Einheiten alarmiert und dem Einsatzraum auch aus angrenzenden Bundesländern zugeführt. Der einsatztaktische Part läuft also an, Einsatzstäbe installieren sich und versuchen eine erste Lage zu erstellen. Dieses Prozede ist für Behörden und Organisationen an sich keine Herausforderung, abgesehen von einsatztaktischen Schwierigkeiten und lageabhängigen Zwischenfällen, auf die folglich reagiert werden muss.
Zugleich und das fast zeitglich mit dem Einsatzbeginn verbreiten sich Informationen über ein Ereignis über Soziale Netzwerke. Augenzeugen twittern und filmen, Beobachter oder Beteiligte posten bei Facebook. Ohne sich jedoch über die Tragweite der Gesamtsituation oder ihres Handelns bewusst zu sein. Spekulationen und Irritationen entstehen. Zielgerichtete Evakuierungen von Einsatzräumen, in dem Fall von Freitag das Einkaufszentrum und die Innenstadt, kann durch Falschinformationen schwer möglich sein und womöglich noch Panik hervorrufen.
Diese beiden Stränge der Handlungen müssen in der heutigen Zeit der Sozialen Netzwerke koordniert und gesteuert werden. Zum einen kann Polizei diese Informationen nutzen, muss sie jedoch immer bewerten. Andererseits können diese Kanäle auch für die Information und Kommunikation des polizeilichen Anliegens genutzt werden. Im vergangenen Zeitalter von „Lügenpresse“ und teilweise schlechtem Kommunikationverhalten von Polizei und anderen Behörden kam der Verdacht des Verschleierns und Vertuschens auf. Hier liegt die Aufgabe der „vierten Macht im Staate“, den Medien, fundiert zu recherchieren und die Wahrheit zu berichten.
[Tweet „Warum Behörden bei #Terror die Informationshoheit haben müssen“]
Informationsmanagement via Social Media
Polizei- und Sicherheitsbehörden versuchen zu vermeiden, dass Täter oder Tägergruppen Informationen über den Kräfteansatz der Polizei und Spezialeinheiten bekommen und somit ihr eigenes Verhalten zum Nachteil der Polizei anpassen könnten.Die Polizei München rief ganz expliziert auf, „keine Bilder und Videos von der Schießerei“ zu veröffentlichen, sondern direkt der Polizei zur Verfügung zu stellen.
Wichtig:
Bitte keine Bilder und Videos von #Schießerei #München veröffentlichen.
Stellt sie uns zur Verfügung unterhttps://t.co/29Df0qGgM6— Polizei München (@PolizeiMuenchen) 22. Juli 2016
Polizei braucht Informationshoheit, denn gerade wenn Tätergruppen agieren, könnten Bilder und Videos zu einem tätereigenen Lagebild zusammengefasst werden. Auf der anderen Seite wollen Polizei- und Sicherheitsbehörden die Bevölkerung durch Spekulationen und Falschmeldungen nicht noch weiter verunsichern. Die Polizei in München wie schon zu Beginn deutlich und bestimmt daruf hin, dass sich die User nicht an Spekulationen betiligten sollten:
#Schießerei #oez #münchen
Bitte haltet Euch mit Spekulationen&Diskussionen!!! hier momentan zurück. Damit würdet Ihr uns sehr unterstützen.— Polizei München (@PolizeiMuenchen) 22. Juli 2016
Beispielhafte Kommunikation der Polizei München
Innerhalb weniger Minuten sprang die Polizei München vom „Alltags-„Posting vom „Festival zu 500 Jahren Bayerisches Reinheitsgebot“ um und wies auf die aktuell unklare Lage am OEZ hin: „Schüsse am Olympiaeinkaufzentrum #OEZ. Meiden Sie die Umgebung des OEZ. Bleiben Sie in ihren Wohnungen.“
Die Polizei München hat von Beginn an, sehr stark auf die Information und Kommunikation über die Sozialen Netzwerke gesetzt. Das Social Media Team empfahl auch den Facebook-Safety-Check.
Unter anderem via Twitter kommunizierte die Online-Redaktion der Polizei, um nicht nur aktuelle Informationen zu verbreiten, sie gab auch Bevölkerungshinweise, wie auch Verhaltenhinweise:
An alle, die Bilder von Opfern veröffentlichen: HÖRT AUF DAMIT!
Habt Respekt vor dem Leid der Angehörigen.#Schießerei#münchen— Polizei München (@PolizeiMuenchen) 22. Juli 2016
Social Media ist eine Herausforderung für die Polizei
Der Münchener Polizeipräsident Hubertus Andrä sieht die Kommunikation über Soziale Medien als Herausforderung, obgleich die Polizei der Bayerischen Landeshauptstadt viel Lob dafür bekommen hat. Er sieht darin aber nicht nur Vorteile. Die Polizei könne mit ihren Informationen in den sozialen Medien Einfluss auf den Einsatzverlauf nehmen. Das sei hilfreich, sagte er im ZDF. Das Problem sei aber, dass Facebook und Twitter auch genutzt würden, „um mögliche Hinweise zu geben oder Falschmeldungen in die Welt zu setzen. Da hatten wir mehrere Informationen in der vergangenen Nacht, die uns dann natürlich herausgefordert haben, diese entsprechend schnell zu überprüfen – und wir mussten natürlich aufgrund der Lage alle diese Hinweise ernst nehmen.“
Die Pressekonferenz der Polizei München wurde per Facebook gestreamt:
Auch am Tag danach, kommunizierte die Polizei echt, autentisch, wenn auch teils mit deutlichen Worten:
„Sprecher des Abends“
Ein Pressesprecher arbeitet unauffällig und dezent. Er kommuniziert Information und Botschaften. Genau das tat der Pressesprecher der Polizei München, Marcus da Gloria Martins. Sein besonnenes, bedachtes und ruhiges, zugleich eloquentes und sehr (medien-)kompetentes und professionelles Auftreten brachte dem Pressesprecher der Polizei München nicht nur aus Kreisen von Politik und Medien ein.
Ruhig, souverän, glaubwürdig: Münchens Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins hat uns alle gestern beeindruckt. pic.twitter.com/9rQzRVjArs
— Hamburger Morgenpost (@mopo) 23. Juli 2016
Damit wurde Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins zum „gefragtesten Mann des Abends“ und mit „viel Besonnenheit schnell zum wichtigen Anker“ im anfänglichen Informationschaos. Der Spiegel bewertet die Kommunikation der Polizei München als „souverän, seriös und erhellend“.
Rettungsdienste und Feuerwehr als „Mitläufer im Einsatz“
Für Einsatzkräfte und Einheiten, die primär nicht-polizeilich an der Lage beteiligt sind, empfiehlt es sich dringend, mit (vorschnellen) Postings und Informationen zurückhaltend zu sein. Mehr als 24 Stunden nach dem Einsatzbeginn teilt das DRK München auf Facebook mit, warum nicht eher Informationen gepostet wurden:
„Und wer sich wundert, warum wir erst jetzt hier posten: Um keine Spekulationen zu verbreiten und Einsatztaktik der Polizei öffentlich zu machen, waren wir auch gezwungen, erst mal still zu halten.“
Folglich sollten, ehren- wie auch hauptamtliche Einsatzkräfte und Helfer von Führungs- und Leitungskräftens ensibilisiert werden, im Einsatz keinerleit Bilder, Videos oder Statusmeldungen (wie [fiktiv, hoffentlich!]“… sind hier grad in der City mit 10 Krankenwagen und mehr als 30 Mann. Mal schauen, was so passiert“) zu posten. Nicht nur dass dadurch die eigene Einheit, sondern auch eventuell der gesamte Einsatz gefährdet sein könnte.
Fazit
Das Internet und die Sozialen Netzwerke sind nicht mehr wegzudenken. Weder für die Kommunikation eines Unternehmens, noch für eine Behörde. Gerade bei Lagen und ereignissen in Echtzeit ist also auch für Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst eine Kommunkation in Echtzeit notwendig. Eine gesteuerte (nicht zensierte) und zielgereichtete Nutzung der Sozialen Netzwerke kann zum Einsatzerfolg beitragen, sofern eine bidirektionale und interaktive Kommunikation zwischen Bürgern und Polizei stattfindet.
Die erfolgreiche, besonnene Art und Weise der Münchener Polizei während der Amoklage die Medienarbeit zu betreiben, verdeutlichete eben diesen Segen und Fluch zugleich. Denn neben ausreichend (vor allem geschultem) Personal ist natürlich auch ein zeitliches und finanzielles Budget nötig.
Bleibt abzuwarten und zu hoffen, wann und wie andere Behörden ihre Kommunikation anpassen oder optimieren.